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Frühlingstagung 2023

Alte Frauen sind weltrelevant – Feminismus im Alter

Bericht Frühlingstagung vom 25./26. Mai 2023, Kappel am Albis

Text: Monika Fischer
Fotos: Janine Verdura

Die vielen aufgestellten Gesichter der rund 50 Teilnehmerinnen zeigten: Die erste als Verein durchgeführte Tagung der GrossmütterRevolution war ein voller Erfolg. Der Feminismus sei vielseitig und zeichne sich dadurch aus, dass er sich nicht nur ums Individuum kümmert, sondern Verantwortung für die Welt übernehme, meinte die Referentin und bekannte Feministin Zita Küng. Ihre mit Humor gespickten Voten stärkten die Frauen in der Überzeugung, als alte Frauen mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen gesellschafts- und weltrelevant zu sein. Ausgehend von ihren Visionen diskutierten sie lustvoll konkrete Schritte zum Handeln im Bewusstsein, einen langen Atem zu brauchen.

Wir haben es geschafft
War das eine Freude in der Umgebung des Klosters und der Seminarräume in Kappel am Albis, altbekannte Frauen wieder zu sehen und zu umarmen! Ebenso herzlich wurden die vielen neuen Frauen begrüsst. «Schaffens wir es - oder nicht?» Mit dieser Frage umriss Vorstandsmitglied Veronika Bossard bei ihrem Willkomm die Stimmung vor einem Jahr.

«Die Vision war da, wurde zunehmend grösser und stärker.» Der Gedanke von Dom Helder Camara «Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit» habe sie getragen. «Es war nicht einfach. Umso grösser ist jetzt die Freude. Wir haben es geschafft und führen die erste Tagung als Verein durch.»

Rosmarie Brunner freute sich über die steigende Zahl von aktuell 100 Mitwybern und betonte die Bedeutung von Austausch und Vernetzung, gewährleistet durch die Matronatsfrauen aus den RegioForen und Arbeitsgruppen. Wissen und Erfahrungen der beteiligten Frauen sollen in einem Kompetenzen-Pool verfügbar gemacht werden.

Bedeutung der alten Frauen
«Was versteht ihr unter Feminismus im Alter? Was ist euch dabei wichtig?» Über diese Fragen diskutierten die Frauen in kleinen Gruppen. Ursula Popp, zusammen mit Veronika Bossard für die Tagung zuständig, stellte die Referentin Zita Küng, Zürich, als eine der bekanntesten und kraftvollsten Feministinnen im Grossmutteralter vor. Diese hatte in der Nacht zuvor entschieden, anstelle ihres vorbereiteten Referates in einem Dialog auf die Stichworte aus den Gruppendiskussionen einzugehen. Als Vordenkerin sei sie auf Präzisierungen und Widersprüche angewiesen. Sie bestätigte die Feststellung, die Welt sei aktuell in einem miserablen Zustand. Um sie zu verändern, brauche es dringend die Frauen, vor allem die alten Frauen, die nichts mehr zu verlieren und lange Erfahrungen haben.

Bedeutung der Sprache
«Wir möchten als alte Frauen sichtbar sein, ernst genommen und wertgeschätzt werden», lautete einer der Anliegen der Teilnehmerinnen. Dies beginne bei der Sensibilisierung für die Sprache, würden doch kompetente alte Frauen in den Medien oft als Omis bezeichnet. «Alte Männer werden jedoch nie Opis genannt», meinte Zita Küng.

Im Hinblick auf die Generationensolidarität, die fehlende Wertschätzung und Anerkennung der Care-Arbeit und der damit verbundenen Frauenarmut verwies sie auf die Einführung der AHV. Damals hätte auch die erste Generation im entsprechenden Alter die Rente bekommen, ohne je einbezahlt zu haben. «Alle waren einverstanden. Es gab keine Diskussionen. Wir haben die Erfahrung, dass alle Generationen solidarisch sein können. Es ist eine Frage des Willens.» Bezüglich der Frauenarmut im Alter, die häufig auf die gesellschaftspolitischen Umstände zurückzuführen sind, bestehe mit dem Hinweis, diese Frauen hätten ja arbeiten können», eine unglaubliche Ignoranz. Dies habe mit der Vorstellung zu tun, dass nur Lohn- resp. Erwerbsarbeit als Arbeit gelte. Es sei deshalb wichtig, andere Begriffe zu verwenden, z.B. von systembedingter, unverschuldeter Frauenarmut zu sprechen. So seien manche Vorstellungen in den Köpfen nach wie vor geprägt von nicht mehr zeitgemässen Bildern einer Zeit, in der es im Arbeitermilieu für manche Frauen erstrebenswert war, mit einem Mann als Ernährer ausschliesslich Hausfrau sein zu dürfen. Es sei wichtig zu wissen, wie und wo die Weltbilder, die sich noch heute hartnäckig festhalten, entstanden sind.

Dort handeln, wo wir Kraft haben
Zita Küng erzählte vom Vorwurf einer jungen Frau, sie sei als alte, weisse Frau zu wenig intersektional unterwegs. Gemeint sei damit, dass verschiedene Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus nicht einzeln für sich wirken und zusammengezählt werden können, sondern dass sie sich gegenseitig beeinflussen und so auch neue Formen der Diskriminierung entstehen können.

«Es gibt nicht die einzig richtige Herangehensweise an eine bestimmte Sache», meinte sie. Es sei wichtig, eine Situation von verschiedenen Seiten anzuschauen, Verbindungen herzustellen und dort zu handeln, wo ich die Kraft habe. Es sei ein Vorteil des Alters, auszulesen, wo frau mit wem in eine Auseinandersetzung gehen wolle.

Ich und die Welt
Ausgehend von dem Anliegen, wie wir uns im Zusammenhang mit dem leidigen Patriarchat von dem befreien können, was die Welt, unsere Erde aktuell derart be-herrscht und kaputt macht, kam Zita Küng so richtig in Fahrt. Es gelte, einen feministischen Blick auf die Gesellschaft zu entwickeln und zu beobachten, wer was wie sage. Feminismus sei nicht möglich ohne Herrschaftskritik.

Es gebe keinen einzig richtigen Feminismus, dieser sei vielseitig. Es sei eine wesentliche Komponente des Feminismus, sich nicht bloss um Einzelpersonen zu kümmern, sondern Verantwortung für die Welt zu übernehmen, den Blick wohl selbstverständlich auf das Individuum und gleichzeitig aufs Ganze zu richten. Das heisse, sich Gedanken darüber zu machen, was für die Gesellschaft, was für die Welt gut wäre: Ich und die Welt. Das heisse, sich nicht nur um sich zu kümmern. Vielmehr gehe es darum, Vorstellungen zu entwickeln, wie die Welt sein müsste, dass sie gut und schön ist und es jedem Menschen gut geht - und zwar nicht nur dort, wo wir daheim sind, sondern überall auf der Welt. Darüber müssten wir uns unterhalten, komme doch weltweit jeder Mensch ohne Pass und Portemonnaie aus einem Frauenbauch. Es gelte, sich darüber zu unterhalten, was der Satz in der UNO-Menschenrechtskonvention für uns bedeute: «Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.» «Das gehört realisiert, dafür gilt es sich einzusetzen.»

Zita Küng plädierte dafür, kleine Welten in einer grossen Welt zu bilden, grösser zu denken und Vorstellungen zu entwickeln für die Welt, wie wir sie uns wünschen. Es müsse etwas sein, das uns beseelt, indem wir uns fragen, welchen Beitrag ich dazu leisten kann. Wichtig sei es, die verschiedenen Ebenen - den individuelle Blick und die Perspektive auf die Welt - nicht gegeneinander auszuspielen.

Lust auf die Welt durch das, was mir wichtig ist
Anhand einer Erfahrung aus der Physiotherapie zeigte sie auf, dass wir in der Lage sind, uns mit unserem Körper zu lokalisieren, einen Orientierungssinn, ein Gespür für den Raum in uns sowie für das zu haben, was weitergeht als unser Körper. Als schwieriges Thema bezeichnete sie angesichts der jahrhundertelangen Unterdrückung der Frauen und dem damit verbundenen fehlenden Selbstbewusstsein den krankmachende Lustverlust der Frauen an der Welt. So gelte es, im Rückblick auf die Anfänge unserer Geschichte mit einer historischen Phase, in der die Geschlechter gleichwertig waren um zu überleben, wieder Lust an der Erde finden. «Wir müssen dafür sorgen, dass die Geschichte anders erzählt wird. Wir alten Frauen wissen um die Bedeutung der Geschichte, wir sind Wissensträgerinnen. Darüber muss geredet und nachgedacht werden, um realistische Vorstellungen zu haben», betonte sie und zeigte auf: «Wir wissen, was Wirtschaft ist, dass sie ohne Care nicht möglich ist. Wir müssen die Definitionsmacht zu uns wichtige Fragen wieder zu uns holen und Orte schaffen, wo das, was uns wichtig ist, zum Thema wird.» So könnten wir wieder Lust auf die Welt bekommen und merken, es macht Sinn. Die Sinnfrage sei zentral: «Worum geht es mir wirklich?»

Grossmütter GMBA
Wichtig, sei auch, dass jede Frau sich auch um sich selbst kümmere im Sinne von «Nur ich weiss, was mir guttut, was ich brauche ich, dass ich mich gut fühle und meine Energie wieder füllen kann.» Dazu brauche es ev. Unterstützung, denn kümmern sei keine Einbahnstrasse. So gelte es, gegenseitig Respekt voreinander in Verbindung mit der Autonomie zu entwickeln.

Ausgehend vom Wunsch, als alte Frauen sicht- und hörbar zu sein, meinte Zita Küng: Da wir unser Alter nicht verbergen können, müssen es betonen, uns nicht dafür entschuldigen, sondern zeigen, was wir aufgrund unserer Erfahrungen zu sagen haben. So könnte der Verein

Verein GrossmütterRevolution ein neues Bildungsangebot machen:

GMBA, Grossmütter Master of Business Administration respektive: Grossmütter mit besonderen Aufgaben. Die könnten wir uns selber geben, indem wir bestimmen, was für uns passend und wichtig ist. Eine besondere Aufgabe könnte es sein, nicht nur tolle Projekte für uns selber zu entwickeln, sondern wo uns etwas wichtig ist und wir willkommen sind, mit unserem Wissen und Können unsere Unterstützung dort anbieten, wo andere keine Kapazitäten haben. Am wirksamsten sei unser Einsatz dort, wo es uns wirklich lockt. Als alte Frauen hätten wir nichts mehr zu verlieren. Dabei gelte es, die Kräfte so zu dosieren, dass es machbar und möglich ist. Sie schloss mit der Anregung: «Auf die Welt schauen, Beziehungen schaffen zu dem, was uns wichtig ist, uns austauschen und Unterstützung anbieten, damit die Welt mehr zu dem wird, wie wir sie uns vorstellen und wie wir sie brauchen.»

Auf den eigenen Erfahrungen aufbauen
«Das war kein Referat, es war eine Brandrede», meinte eine Teilnehmerin. Eine andere freute sich über die mit Selbstironie und Humor gespickten Ausführungen. In der anschliessenden Diskussion wurden einige Aussagen mit folgenden Voten der Referentin und der Teilnehmerinnen noch vertieft:

  • Damit ich wirksam werden kann, muss ich in Beziehung treten und Mut haben, Gesicht zu zeigen und mich auszusetzen.
  • Wir tragen auch Verantwortung, da wir die Generation sind, die eine relativ gute und sichere Zeit mit vielen Entwicklungen miterlebt haben und unversehrt sind.
  • Wir müssen in grösseren Dimensionen denken angesichts Tatsache, dass sich mit mehr Frauen in Parlament wenig geändert hat. Die Frauen haben sich enorm abgerackert und eine Herkulesarbeit geleistet. Das System ist träge, alles geht enorm langsam.
  • Ich muss wissen, wo ich stehen, wie es mit der Kommunikation in bestimmten Bereichen steht, damit ich verstanden werde und darf mich nicht klein machen, sondern mit der Grösse, die ich habe, durch die Welt gehen.
  • Es ist wichtig, authentisch zu sein und zu schauen, was in einer bestimmten Situation das Richtige und Wichtige ist. Es geht darum zu üben üben üben entlang der eigenen Kraft und immer wieder durchzuatmen. Mich zu bemühen, die zu sein, die ich bin im Bewusstsein, dass ich nicht mit Perfektion anfangen kann.
  • In grösserem Rahmen denken, Lust am Leben kann ich nur haben, wenn ich Hoffnung und Zeit habe. Um authentisch sein zu können, muss ich ein Sensorium entwickeln für das, was wirklich wichtig ist und immer wieder innerlich und äusserlich aufräumen.
  • Hilfreich sind Erinnerungen auf Dinge, die gut gelaufen sind. Es trägt dazu bei, unsere Potentiale zu sehen, unsere Erfahrungen und unsere Leistungen in die Welt zu bringen: Die Welt muss sehen, was wir wissen und können.
  • Im Umgang mit Gegenwind ist es hilfreich, wenn wir uns über unsere Talente und Wünsche klar werden, denn Frauen werden bekämpft, wenn sie Raum einnehmen.
  • Wir dürfen stolz sein und uns freuen über unser Wissen und Können, was uns abtrainiert wurde mit dem Hinweis «Eigenlob stinkt». Es gilt, sich unter Frauen gegenseitig Feedback zu geben, ist es doch skandalös, wie Frauen auch heute noch fertig gemacht werden, ihr Wissen und Können totgeschwiegen wird.

Zwischen den Diskussionen hatten die Frauen Gelegenheit, sich angeleitet von der Tanzpädagogin Regina Ammann zu bewegen und über den Körper auszudrücken. In ihrer eindrücklichen Tanzperformance demonstrierte die Künstlerin, wie Befindlichkeiten, Stimmungen und Gefühle zu Musik und zum Klag der eigenen Stimme möglich sind.

Zum Abschluss des Tages trafen sich die Teilnehmerinnen im Hof zum gemeinsamen Trommeln und Rasseln für den Frieden. Es schien, als würden die Schwalben am blauen Nachthimmel die Botschaft hinaus in die Welt tragen.

Von der Auseinandersetzung zum konkreten Handeln
Am zweiten Tag setzten sich die Teilnehmerinnen in Gruppen mit jenen Themen auseinander, die sie vom Vortag beschäftigten. Die intensiven Gespräche führten zusammengefasst zu im Plenum zu folgenden Ideen für die künftige Arbeit: Wir müssen uns selbstbewusst ernst und wichtig nehmen, um als stolze alte Frauen dastehen zu können. Wir möchten Sand im Getriebe sein, Platz einnehmen, und Worte finden für das, was Care-Arbeit ist und ihre Bedeutung für den Menschen, für die Gesellschaft sichtbar machen. Wir wollen mit unserer Vision für die Welt generationenübergreifend Verantwortung übernehmen, hat doch das, was wir im Kleinen machen, Auswirkungen auf die ganze Welt. Wir brauchen unterschiedliche Beziehungen zur gegenseitigen Stärkung: persönliche Beziehungen, um die eigene Kraft zu spüren und zu stärken, aber auch sachbezogene Beziehungen in Gruppen mit einem gemeinsamen Ziel.

Nach dem Mittagessen wurden die Ideen für die Arbeit in RegioForen und Arbeitsgruppen sowie für die Herbsttagung des Vereins GrossmütterRevolution vom 3. November 2023 konkretisiert. Neben der Teilnahme verschiedener Gruppen am feministischen Streik vom 14. Juni sollen als nächste Schritte die folgenden Themen angegangen werden: Die Gründung eines weiteren RegioForums in Lenzburg wird geplant. Durch den Austausch über Talente und Kompetenzen sollen diese sichtbar gemacht werden. Ein zentrales Thema war das Vertiefen und Vernetzen. Durch das Zusammentragen von Unterlagen zum Thema Care-Arbeit auf der Website soll bewusst gemacht werden, was bereits vorhanden ist, damit darauf aufgebaut werden kann. Die Pflege der Beziehungen und eine gezielte Vernetzung wird die Verbundenheit stärken.

Herzliche Dankesworte an die Organisatorinnen, gemeinsames Tanzen und ein Ritual beschlossen die erfolgreiche Frühlingstagung.

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